
Reisebericht Madrid
Es ist Mitte Januar, als ich zum ersten Mal in Madrid lande. Keine Wolken am Himmel, 16 Grad, es fühlt sich an wie Frühling. Ich bin allein unterwegs, auf der Suche nach Inspiration. Nicht gezielt, nicht geplant – einfach bereit, mich treiben zu lassen.
Mein erster Stopp: die Markthalle San Miguel. Ein touristischer Magnet, zweifellos – aber leider ohne Seele. Zu laut, zu inszeniert. Ich verlasse sie schnell wieder – und finde nur wenige Gassen weiter das, was ich eigentlich gesucht hatte.
Kein grosses Schild, keine Schlange. Nur ein paar Einheimische an der Bar. Der Duft aus der Küche: verheissungsvoll.
Ich setze mich, bestelle drei Gerichte:
- Gegrillte Champignons mit Jamón Ibérico – die Pilze saftig, leicht angebraten, der Schinken schmilzt fast darauf.
- Chorizo in Apfelwein – süss-säuerlich, mit deftigem Kern. Die Sauce dickt beim Abkühlen ein und bekommt Tiefe. Ich tunke das Brot rein – sehr lecker
- Kroketten mit Schinkenfüllung – knusprige Hülle, innen cremig, würzig. Keine Hexerei, aber perfekt gemacht.
Danach ein Spaziergang durch das fast frühlingshafte Madrid – klare Luft, goldenes Licht auf den Fassaden. Ich bin angekommen.




StreetXO – High Energy mit Fragezeichen
Am Abend ein Kontrastprogramm: StreetXO, das urbane Konzept von David Muñoz. Ich war neugierig, wollte es mir anschauen. Die Stimmung: laut, energiegeladen. Musik, Licht, dicht gedrängte Gäste. Ich sitze an der Bar, bestelle einen Matcha-Gin-Cocktail – bitter, grasig, interessant.
Fünf Gänge später ist klar: nicht alles überzeugt.

Aber zwei Gerichte bleiben hängen:
- Schweinebauch mit Miesmuscheln, Chili und Tatarensauce – intensiv, würzig und perfekt balanciert.
- Schweineohren mit Dumpling und Erdbeeren – vor allem die unerwartete Süsse der Erdbeeren war spannend. Die Knusprigkeit trifft auf Fruchtzucker, dazu ein säuerlicher Dip. Spannend. Fast schon Punkrock auf dem Teller.
Ich verlasse das Restaurant nicht ganz überzeugt – aber definitiv inspiriert. Und hungrig nach mehr Madrid.




Nach einem ausgiebigen Frühstück mit einem Spiegelei-Toast im Adorado Cafe & Bar, Mails checken und einer Stunde konzentrierter Work-Time zog es mich noch einmal hinaus in die Strassen Madrids. Der Januar zeigte sich von seiner besten Seite – blauer Himmel, sanfte Sonne, ein Hauch Frühling in der Luft. Ich schlenderte durch elegante Boulevards, vorbei an kleinen Boutiquen und versteckten Cafés, und liess den Rhythmus der Stadt noch einmal auf mich wirken.

Tradition pur im La Casa del Abuelo
Für einen authentischen Lunch zog es mich mittags ins traditionsreiche La Casa del Abuelo, ein Ort, der seit über hundert Jahren in Familienhand ist. Ich bestellte saftige Crevetten in einer glühend heissen Knoblauch-Butter-Sauce – der Duft allein war den Umweg wert – dazu Chorizo und einen kräftigen Manchego Käse. Die Wände, dunkel vom jahrzehntelangen Küchendampf, erzählten stumm von all den Gästen, die hier schon gesessen hatten. Der Kellner brachte Brot, um die Sauce bis auf den letzten Tropfen aufzutunken – und natürlich tat ich genau das.

VelascoAbellà – Ein Gericht, das bleibt
Um 20 Uhr erwartete mich mein letztes kulinarisches Highlight in Madrid: VelascoAbellà. Mein letzter Abend vor dem Weiterflug nach Peru. Das Restaurant wurde mir mehrfach empfohlen. Der Gastraum ist hell und ruhig. Der Empfang herzlich, der Service aufmerksam.
Der Gang, der mir lange in Erinnerung bleiben wird, ist auf der Karte schlicht mit „Guisantes con trufa“ angekündigt – Erbsen mit Trüffel. Was auf dem Teller liegt, wirkt auf den ersten Blick einfach. Kleine, helle Erbsen, fast mikroskopisch. Dazu schwarzer Trüffel. Diese Erbsen waren präzise gegart. Der Trüffel – nicht dominant, sondern als feine, dunkle Note im Hintergrund.

Ich erinnere mich selten an einzelne Produkte so deutlich – aber diese Erbsen waren einer dieser Momente, in denen alles passt: Reife, Technik, Timing.
Der Rest des Menüs ist auf ähnlich hohem Niveau. Gute Weine, eine ruhige Dramaturgie, keine Überfrachtung. Ein Küchenchef, der sich und sein Handwerk nicht in den Vordergrund stellt – sondern es wirken lässt. Ich verlasse das Lokal still beeindruckt.

Nach dieser Reise war klar: Ich muss zurück.
Madrid hatte mich gepackt – mit seiner Energie, seiner Direktheit, seiner Vielfalt. Und mit einer kleinen Erbse, die zum Startpunkt eines ganzen Menüs werden sollte.

Madrid – Juli Edition: Die Verdichtung einer Idee
Sechs Monate nach meiner ersten Reise kehre ich zurück – diesmal im Hochsommer und nicht allein. Meine Frau ist mit dabei. Für uns beide ist Kulinarik Beruf und Leidenschaft. Madrid bietet dafür das richtige Umfeld: lebendig, offen, vielfältig.
Wir checken ins Four Seasons ein – ein Ort, der luxuriös ist, ohne zu prahlen. Das alte Gebäude atmet Geschichte, der Service ist entspannt elegant, und die Dachterrasse eine Oase. Unser Zimmer ist hell, ruhig, kühl. Aber wir verweilen nicht lang – es zieht uns raus.

El Barril de las Cortes – Ein erster Happen Spanien
Es ist fast halb zehn abends – in Madrid beste Dinnerzeit. Der Concierge schickt uns ins El Barril de las Cortes, ein klassisches Lokal mit Fokus auf Fisch und Meeresfrüchte. Wir setzen uns und bestellen ein Glas Albariño.
Die Vorspeisen:
- Huevos rotos mit Jamón Ibérico – die Eier perfekt flüssig, das Eigelb mischt sich mit den salzigen Schinkenstücken und der labbrigen Kartoffel.
- Ceviche vom Wolfsbarsch – frisch und pikant

Zum Hauptgang bestellen wir eine Paella – reich an Krustentieren, gut gewürzt, mit dieser leicht verbrannten Kruste am Pfannenboden, die man in Spanien „socarrat“ nennt und die für mich zur Perfektion dazugehört. Zum Schluss ein klassisches Flan – süss, cremig, wie aus Kindheitstagen.
Es ist kein Abend, der überrascht. Aber ein guter Auftakt. Solide, ehrlich – genau richtig, um anzukommen.

Frühstück im La Rollerie & Lunch bei Sacha
Am nächsten Morgen entdecken wir gleich um die Ecke des Hotels das La Rollerie – ein charmantes Café mit rustikalem Chic. Ich bestelle eine Shakshuka mit Peperoni und Pimentón de la Vera, Monika nimmt Avocado-Toast mit pochiertem Ei. Dazu frisch gepresster O-Saft, guter Kaffee. Perfekt.
Nach dem Frühstück spazieren wir durch die Stadt, vorbei am Königspalast, bevor wir ein Uber zum Lunch nehmen. Lunch in Madrid startet offiziell erst ab 14 Uhr – eine Uhrzeit, die viele Fragen aufwirft: Gehen die Leute danach noch arbeiten? Oder ist das einfach Teil des mediterranen Flows?
Für uns ist die späte Zeit ideal, denn so bleibt etwas Zeit zum Verdauen. Unser Ziel: Sacha, ein Geheimtipp in der Nähe des Bernabéu-Stadions. Das Restaurant liegt im Erdgeschoss eines Wohnhauses, mitten in einem Quartier, in dem man ein solches Lokal nicht erwartet. Kein Schild, kein Tamtam – und gerade das macht es besonders.
Der Gastgeber, Sacha Hormaechea, ist eine Ikone der Szene – wir entdecken ihn über einen Insider-Blog. Die Atmosphäre ist bodenständig, herzlich und ganz ohne Chichi. Unsere Bestellung:

ein Omelett mit Kartoffel, Blutwurst und grünen, eingelegten Piparras-Chilis – salzig, würzig, mit Biss.

Eine offene Lasagne mit Krabben – fein, elegant, leicht.

Und als Highlight: eine reife Feige mit Pata-Negra-Schinken
Business & Balance
Nach dem Lunch fahren wir zurück ins Zentrum. Madrid ist laut, warm, ein bisschen chaotisch – aber ich liebe genau das. Wir schlendern durch die Strassen, schauen in kleine Läden, bewundern die Vielfalt an Bohnen, Oliven, eingelegten Spezialitäten. Ich bleibe oft stehen, schaue, rieche, vergleiche. Es ist diese Liebe zum Produkt, die mich überall begleitet.
Zurück im Hotel starten wir mit ein paar Stunden Arbeit – denn unsere Reise ist auch eine Workation. 2025 ist ein Jahr der Transformation: Wir planen das MYLE, unsere neue Location für Casual Dining ab 2026. Dazu kommt der Umbau, die Weiterentwicklung der Steinhalle, ein neues Takeaway-Konzept – viele Ideen, viele Entscheidungen. Gemeinsam mit meiner Frau, die auch meine Geschäftspartnerin ist, nutzen wir die Zeit für Strategie, Planung, Struktur. Zuhause fehlt oft die Ruhe dafür.

Dinner im Coque – Konzept über Geschmack
Am Abend sind wir gespannt: Coque, zwei Sterne im Guide Michelin, eines der grossen Häuser der Stadt. Wir betreten das Restaurant, werden mit dem Lift ins Untergeschoss geführt – Apéro, aber nicht am Tisch, sondern als eine Art Tour durch verschiedene Räume. Der erste Bissen, ein Ajo Blanco – cremig, nussig, mit Crunch. Ein vielversprechender Start.
Doch leider bleibt es der Höhepunkt. Der Ablauf ist schwerfällig, unkoordiniert. Wir warten zu lange, der Rhythmus fehlt. Zwei Räume sind von Getränkeherstellern gesponsert – es wirkt aufgesetzt, fast werblich. Auch wenn die Kulissen beeindruckend sind, fehlt das Herz. Kein echter Gastgeber, keine Nähe, kein roter Faden.

Das eigentliche Menü beginnt spät, das 18-Gänge-Format wird zunehmend anstrengend. Geschmacklich bleibt vieles blass – mehr Show als Substanz. Wir hatten um 21 Uhr angekündigt, um 23.30 Uhr gehen zu wollen. Als um 23.25 Uhr noch kein Dessert in Sicht war, baten wir um die Rechnung und verliessen das Restaurant. Ernüchtert – aber auch inspiriert. Denn: Gerade die enttäuschenden Erfahrungen bringen oft die wertvollsten Learnings.

Tag 3 – Ideen, Bohnen & ein Menü, das entsteht
Wir starten den Tag mit einem kleinen Frühstück im Hotel. Im 8. Stock befindet sich die Brasserie Dani, ein wunderschön gestaltetes Lokal mit einer der besten Dachterrassen Madrids. Stylisch, lichtdurchflutet, elegant – ein Ort, an dem man gern etwas länger bleibt.
Für den Lunch haben wir im OSA reserviert – ein 6-Gänge-Menü auf der Terrasse, serviert in einem kleinen Garten mitten in Madrid. Die Küche ist offen einsehbar, die Atmosphäre ruhig, beinahe meditativ. Nur acht Tische – und ein junges, engagiertes Team, das mit Konzentration und Präzision arbeitet.

Das Menü ist vorgegeben, aber man kann zusätzliche Gänge dazubestellen – wir entscheiden uns vor dem Dessert sogar noch für einen Extra-Gang. Die Küche ist puristisch, fast schon minimalistisch: meist eine Hauptzutat, begleitet von einer perfekt abgestimmten Sauce oder Textur.

Zwei Gerichte bleiben besonders in Erinnerung: grillierte Peperonistreifen an einer Beurre-Blanc-Sauce – buttrig, rauchig, aromatisch – und grüne Bohnen in einer Sauce aus kollagenreichem Fond. Klingt unspektakulär, war aber geschmacklich überraschend rund und komplex. Das OSA zeigt, wie viel Kraft in Einfachheit steckt – und wie ein gutes Produkt im richtigen Kontext glänzen kann.
Das Menü beginnt sich zu formen. Gang für Gang. Zwei Essen stehen noch bevor – aber der Rahmen steht. Jetzt geht es ans Feintuning. Ein Menü für den Schweizer Herbst, inspiriert von einem Winter- und einem Sommer-Besuch in Madrid. Eine Herausforderung? Sicher. Aber genau das liebe ich.

Abendessen im Dstage – wild, frei, anders
Am Abend geht’s ins Dstage – ein Restaurant, das mir mehrfach empfohlen wurde. Untergebracht in einem Industrie-Loft im Stadtteil Salesas. Offene Küche, Backsteinwände, Retro-Design, Musik, Energie – nichts ist hier klassisch, und genau das ist der Punkt.
Der Küchenchef Diego Guerrero gilt als einer der kreativsten Köpfe der spanischen Szene. Seine Gerichte fordern heraus, überraschen, provozieren. Bei einem Gang sagt der Service: „Das schmeckt wie Regen im Wald.“ Und ja – genau so schmeckte es auch. Nicht unbedingt lecker – aber exakt das, was versprochen wurde.

Im Dstage überzeugt nicht jedes Gericht geschmacklich, aber das Erlebnis ist stark. Es geht um Haltung, um Drive, um Atmosphäre. Ein sehr guter Pastagang bleibt in Erinnerung, und ein Schokoküchlein aus fermentierter Gerste – das schmeckte wie dunkle Schokolade, war aber komplett ohne. Unglaublich spannend.
Inspiriert, ein wenig überwältigt, aber mit breitem Lächeln fahren wir zurück ins Hotel. Madrid zeigt sich heute von seiner radikalen, ungezähmten Seite. Ein Abend, der mehr Fragen stellt als Antworten gibt – aber genau darin liegt oft der Reiz.

Tag 4 – Marktfrische, Mikro-Saisonalität und ein letzter Höhepunkt
Wir wachen früh auf – der Himmel ist zum ersten Mal leicht bedeckt. Nach drei Tagen intensiver Sonne ist das fast angenehm. Wir schnappen uns einen Kaffee im Hotel und machen uns auf den Weg – unser Ziel: der Mercado Maravillas.
Der Tipp kam vom Chef im OSA – hier kaufen sie ihre Zutaten. Für mich sind Marktbesuche immer inspirierend. Ich liebe es, all die frischen Produkte zu sehen, zu riechen, in die Stimmung einzutauchen. Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch, Gemüse, Obst, Gewürze – alles in Hülle und Fülle. Ich streife durch die Gänge, studiere Etiketten, spreche mit Verkäufer:innen. Und jedes Mal wünsche ich mir, dass wir zu Hause auch so einen Markt hätten – nicht nur für die Produkte, sondern auch für den Rhythmus und die Energie.

Langsam meldet sich der Hunger. Monika sucht nach einem guten Brunch-Lokal in der Nähe – und wird fündig: Bô Speciality Coffee, nur wenige Gehminuten vom Markt entfernt. Es ist Mittwoch, kurz vor elf – das Lokal ist rappelvoll, aber wir haben Glück und ergattern einen kleinen Tisch.
Wir bestellen eine Açaí-Bowl und einen Avocado-Toast – bewusst leicht, denn um 15 Uhr steht unser letztes Lunch-Highlight vor der Heimreise an. Beides schmeckt frisch, gut gewürzt, modern serviert – das perfekte kleine Frühstück vor dem grossen Finale.

Pabû – leise, klar, intensiv
Zurück im Hotel heisst es: Koffer packen, auschecken. Dann fahren wir direkt weiter zum Lunch – und zwar zu einem Ort, für den es am schwierigsten war, überhaupt einen Tisch zu bekommen: Pabû, direkt neben dem Stadion Santiago Bernabéu gelegen.

Der Chef hat sechs Jahre bei Alain Passard gearbeitet – und das spürt man. Seine Küche konzentriert sich ganz auf das Produkt, auf Reinheit, Saisonalität, auf das, was Lieferant:innen täglich frisch bringen. Gemüse spielt hier die Hauptrolle, auf eine Art, die nichts mit Beilage zu tun hat – sondern mit Präzision, Eleganz und Tiefe.
Das Restaurant ist schlicht eingerichtet, fast ruhig. Der Service wird von seiner Mutter geführt – eine persönliche Note, die dem Ganzen eine besondere Wärme gibt. Aber überzeugen tut hier vor allem die Küche.
Jedes Gericht, das wir bekommen, möchten wir eigentlich gleich noch einmal bestellen. Perfekte Abstimmung, unglaublicher Geschmack, nichts Aufgesetztes, alles durchdacht.

Besonders begeistert hat uns ein Spinatgericht mit Beurre blanc und Pistazie – warm, nussig, grün – und ein Thunfisch in Buttersauce, von fast japanischer Klarheit.
Einziger Wermutstropfen: die Desserts. Sie konnten mit dem Niveau der salzigen Gänge nicht ganz mithalten – gut, aber im Vergleich fast vergessen. Und doch – Pabû bleibt als Höhepunkt dieser Reise im Gedächtnis. Die Art, wie hier gekocht wird – reduziert, klar, handwerklich stark – ist genau das, was mir gefällt. Es geht nicht darum, zu beeindrucken, sondern zu berühren.

Nach dem Essen bleiben wir noch einen Moment sitzen, lassen die Eindrücke sacken. Pabû war ein leiser Höhepunkt und ein würdiger Abschluss dieser Reise. Dann rufen wir uns ein Taxi.
Direkt vom Restaurant geht’s zum Flughafen. Ein letzter Blick auf Madrid, auf diese Stadt, die uns in vier Tagen so viel geschenkt hat: Hitze, Energie, Aromen, Ideen – und den nötigen Raum, um kreativ zu werden. Wir fliegen nach Hause – inspiriert, angeregt, mit dem Kopf voller Bilder und dem Herzen voller Geschmack.
Das Ergebnis? Ab dem 27. August gibt es in der Steinhalle mein neues Menü: Cuisine Voyage – Madrid.